In dem Spielfilm Manchester by the Sea von Kenneth Lonergan spielt der Schauspieler Casey Affleck einen Mann, der als Vormund für den 16-jährigen Sohn seines verstorbenen Bruders eingesetzt wird. Der Film handelt davon, wie der Ersatzvater die Beerdigung organisiert und die Zukunft des Jungen zu planen versucht. Der Junge will die Stadt nicht verlassen und der Ersatzvaters hält es aus lauter innerer Zerrissenheit in dem Ort nicht aus, wo er in der Vergangenheit einen schlimmen Unfall verursacht hat. Das ungleiche Paar ist nicht in der Lage über seine Schuldgefühle und die Verluste zu sprechen, die beide erlitten haben. Und doch führt uns die Inszenierung der Geschichte eine lakonische, fast non verbale Kommunikation zwischen den beiden vor, hinter der ein zugleich von Respekt und Ablehnung geprägtes Gefühl der Verantwortung für den anderen steht. Wie schon in seinem wunderbaren ersten Film You Can Count On Me aus dem Jahre 2000 erzählt Kenneth Lonergan auch hier die Geschichte zwischen einem Kind und einem Ersatzvater. In beiden Filmen baut der Ersatzvater zu dem Jugendlichen eine Beziehung auf, die durch die emotionale Distanz einen direkteren Zugang zu den Gefühlen und Bedürfnissen von beiden ermöglicht. Und in beiden Filmen ist es für den Ersatzvater unmöglich, in dem Ort zu bleiben und für die Erziehung des Kindes die Verantwortung zu übernehmen.

Was dem Film Manchester by the Sea allerdings fehlt, ist ein zusätzliches übergeordnetes Thema. Die filmdramaturgische Dynamik der Geschichte erschließt sich ausschließlich über die Verletzung der beiden Hauptprotagonisten. Durch eine emotionale Verletzung der Hauptfigur wird so gut wie immer eine Identifikation zwischen dem Zuschauer und der Hauptfigur hergestellt. Kenneth Lonergan rückt in diesem Film die Verletzungen der beiden Hauptfiguren in das Zentrum der Geschichte und stilisiert sie zum alles dominierenden Thema hoch. Die innere Zerrissenheit macht es dem Ersatzvater unmöglich ein normales Leben zu führen, und auf der anderen Seite ist er für das Leben des im anvertrauten Jugendlichen verantwortlich. Dieses auf die Spitze getriebene emotionale Paradox aus Schmerz und Schuldgefühlen ist eine außergewöhnliche Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden. Aber mehr ist es dann auch nicht. In der Filmdramaturgie ist die Verletzung häufig der Auslöser für die Handlung und die Beziehung der Hauptfigur zu einer anderen Person. Die Verletzung ist damit ein Indiz für die wahren Bedürfnisse der Hauptfigur(en). In diesem Film ist es aber genau umgekehrt: die Beziehungen der beiden zueinander soll die unerträgliche Verletzungen und Schuldgefühle unter dem Deckel halten, da die beiden Protagonisten sonst nicht weiterleben könnten. Bei allen drei Filmen von Kenneth Lonergan spielt das Verhältnis zwischen Schuld und Verletzung, und wie man damit weiterleben kann, die zentrale Rolle.