Der Serie Chuck gelingt der Spagat zwischen ernsthafter Liebesgeschichte und einer völlig überdrehten Spionage-Action-Komödie. Die Hauptfigur Chuck Bartowski arbeitet nach seinem Rauswurf von der Stanfort University in dem Elektronikmarkt Bye More. Eines Tage bekommt er von einem ehemaligen Kommilitonen eine Mail mit dem geheimen Intersect-Programm der CIA und NSA zugeschickt, das sich selbst löscht, nachdem Chuck es angesehen hat. Chuck ist damit der einzige Informant für diese Datenbank mit Topsecret-Informationen. Die Agenten Sarah Walker und John Casey sind sich am Anfang noch nicht im Klaren, ob sie die Quelle Chuck töten oder beschützen sollen. Von Anfang an ist klar, dass zwischen Sarah und Chuck eine Liebesgeschichte entstehen wird, aber die erste Regel im Spionagegeschäft lautet, keine persönlichen Gefühle zuzulassen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bekommen Sarah und Casey den Auftrag Chuck mit dem Intersect-Progarmm um jeden Preis zu schützen. Sarah soll zu diesem Zweck eine Scheinbeziehung mit Chuck eingehen. Chuck und Sarah müssen also so tun als hätten sie eine Beziehung, die sie in ihrer Lebensrealität nicht haben dürfen aber in Wirklichkeit eben doch haben. Dass dies so gut funktioniert, liegt neben den großartigen Drehbüchern, die fast immer die Balance zwischen Tragik und Komik finden, an den beiden Hauptdarstellern Zachary Levi (Shazam!) und Yvonne Strahovski (Dexter, 24, The Handmaid’s Tale).

Die Prämisse in den ersten beiden Staffeln lautet, dass Agent Sarah Walker ihre Agentenkarriere auf keinen Fall aufgeben und Chuck sein ganz normales Leben zurückhaben will. Als sich Chuck nach und nach zu einem richtigen Agenten entwickelt, wünscht sich Sarah immer mehr das „normale“ Leben, von dem Chuck die ganze Zeit geträumt hat. Die Liebesgeschichte kollidiert mit der beruflichen Ebene und erzählt von den Gefühlen der beiden Hauptfiguren, die sich nach dem sehnen, was der oder die andere sich vom Leben erhoffen. Vordergründig mag die Serie oberflächlich und albern wirken, aber die Diskrepanz zwischen der gelebten Wirklichkeit und den unterdrückten Gefühlen sowie der Geheimhaltung des Spionagelebens, entwickelt eine dynamische Wahrhaftigkeit, mit der sich jeder Zuschauer identifizieren kann, da er sie aus dem richtigen Leben kennt. Im wirklichen Leben verändern sich die Träume im Laufe der Zeit und Chuck muss sich entscheiden, seine Träume zu ändern oder seine große Liebe zu verlieren. Diese Problematik ist die Grundlage jeder klassischen Dramaturgie. Die Hauptfiguren absolvieren eine Reise des Helden, in der sie in einer fremden (Spionage-) Welt ihre Abenteuer bestehen und sich innerlich zu einem anderen Menschen entwickeln müssen. Die Widersprüchlichkeit ist in dieser Serie nicht in der Persönlichkeit der Figuren angelegt, sondern in ihrem widersprüchlichen Doppelleben mitsamt den dazugehörigen Gefühlen und Träumen. Chuck spiegelt seiner Umgebung vor, ein normales Leben als Verkäufer mit einer tollen Freundin zu haben, aber in Wirklichkeit ist er ein Topspion; und die Frau in die er verliebt ist, ist nur seine Kollegin, die sich nicht eingestehen will, dass sie sich in Chuck verliebt hat. Das sind immerhin vier Erzählebenebenen, die immer wieder miteinander in Konflikt geraten und somit einen unvorhersehbaren Ausgang nehmen können.

In der dritten Staffel wird das dramaturgische Chaos um einen fünften Konfliktherd erweitert. Chuck und Sarah verlieben sich in andere, neue Personen, was beide kaum aushalten können, da sie trotz Verliebtheit in jemand anderen niemandem mehr vertrauen können als sich gegenseitig. Die Beziehungsprobleme und Familienzusammenführungen vor dem Hintergrund des ernsten Spionagealltags nehmen wundervolle abstruse Züge an. Im übertragenen Sinne könnte man sagen, dass das Spionageleben zum Ausdruck der Psyche der Protagonisten geworden ist. In jeder partnerschaftlichen Liebesbeziehung spielen Geheimnisse und Vertrauen eine große Rolle. Welche Gefahr könnte der Beziehung drohen und was ist die nächste Mission um die Partnerschaft zu erhalten, Überraschung oder Lüge, Vertrauen oder Verschweigen, Grenzüberschreitung oder Hilfe, Einmischen oder Verrat. Das Spionageleben ist auf eine verdrehte Art und Weise wie das, was im Kopf eines jeden Menschen vorgeht, der in einer Partnerschaft lebt: die ganze Zeit möchte man herausbekommen, was im Kopf des anderen vorgeht, manchmal ist man misstrauisch und manchmal möchte man den anderen am liebsten erschießen.

Der Serie gelingt ab Mitte der dritten Staffel bis zum Ende das Kunststück, die Persönlichkeiten und die familiären Hintergründe der sechs Hauptprotagonisten weiterzuentwickeln und eine plausible Erklärung dafür zu konstruieren, warum die Personen so sind wie sie erscheinen, aber in Wirklichkeit gar nicht sind. Selbst die Familiengeschichte der unnahbaren Agentin Sarah Walker, die alles in ihrem Leben für das CIA geopfert hat, bietet am Ende eine Erklärung dafür, warum sie so ist wie sie ist und in Wirklichkeit doch eine ganz andere Person. Es geht darum, welches Bild ein Mensch von sich selber hat und welches er der Öffentlichkeit sichtbar machen möchte. Chuck Bartowski, der Nerd Herder Computerspezialist im Elektronikfachhandel Bye More, der so gerne ein richtiger Spion sein möchte, aber nicht töten kann; und Sarah Walker die knallharte Agentin, für die Gefühle eine Schwäche und Gefahr darstellen, aber in Wirklichkeit eine gefühlvolle moralische Person ist. Die Unterdrückung der Gefühle ist das große Thema dieser Serie. Die Gefühle stehen dem Selbstbild der Protagonisten immer wieder im Wege und doch setzen sie sich am Ende auf eine wirklich tragische Weise durch. Letztendlich ist die Serie Chuck trotz Action und Albernheit eine Reise zu den eigenen Gefühlen.