Roma von Alfonso Cuarón

Bereits in der ersten Einstellung kann man erkennen, was für ein genialer Regisseur Alfonso Cuarón ist, der durch die Filme Harry Potter und der Gefangene von Askaban (2004) und dem mehrfach oscarprämierten Film Gravity (2013) berühmt geworden ist. In Roma fängt die Kamera einen Steinboden, Wasser und Spiegelbilder ein und eröffnet dadurch mehrere Bildebenen und Imaginationsräume, die zum Erzählprinzip des ganzen Filmes werden. In großen 65mm Schwarzweißaufnahmen wird das Leben einer Familie mit vier Kindern aus der Sicht eines Indiohausmädchens in Mexiko im Jahre 1971 erzählt. Der erste Eindruck ist als wäre man in einem Dokumentarfilm, der kommentarlos das alltägliche Leben einer Familie abbildet in der nichts Besonderes passiert. Erst beim zweiten Nachdenken über den Film wird klar, dass ein verschwundener Vater, ein Erdbeben, eine Schwangerschaft, die für das Auto zu enge Hauseinfahrt und die Hundescheiße die Frage aufwirft, was in dieser Familie nicht stimmt? Alles an diesem Film wirkt alltäglich und doch sind die Bilder aufwendig inszeniert. Die außergewöhnliche Bildsprache, in der die Familie immer in der Totalen gefilmt ist und nur das Hausmädchen in wichtigen Momenten eine Großaufnahme erhält, schafft diese dokumentarische Distanz und erinnert an den italienischen Neorealismus. Kaum ein Film in diesem Jahr spiegelt die Widersprüchlichkeit zwischen langweiligem Alltag und Katastrophe, zwischen der Normalität und der Künstlichkeit der Bilder so virtuos wieder wie dieser Film. Ein Film über die mexikanische Identität mit amerikanischem Geld produziert. Leider wird dieser Film in Deutschland nur in einigen Sondervorstellungen im Kino zu sehen sein, da er von Netflix für sein Onlineportal produziert worden ist. Die großartigen Bildtableaus mit ihrem herausragenden Sounddesign sind für das Kino geschaffen.

 

Climax von Gaspar Noe

In der ersten Hälfte des Films inszeniert der Regisseur Gaspar Noe die furiose Probe einer Tanzshow. Die Party danach, bei der jemand Drogen in die Sangria getan hat, läuft vollkommen aus dem Ruder und endet in einer Orgie aus Sex und Gewalt. Es ist irre mitzuerleben wie unterdrückte Gefühle und Aggressionen unter den Protagonisten ausbrechen, die in der Tanzshow ein soziales Gefüge bilden müssen. Der Film wird zum Abbild unseres gesellschaftlichen Verhaltens und zeigt, was für Auswirkungen ein Kontrollverlust haben kann, indem die Gefühle hemmungslos ausgelebt werden. Es gibt Mord und Totschlag und der Film wird für die Protagonisten wie für den Zuschauer zum wahren Höllentrip.

 

Loro von Paolo Sorrentino

Die Filme Il Divo, La Grande Bellezza, Ewige Jugend und die Serie The Young Pope von Paolo Sorrintino sind heute bereits Klassiker des europäischen Kinos. Loro ist ein filmischer Versuch, der widersprüchlichen Figur von Silvio Berlusconi nahe zu kommen. Heraus kommt eine filmische Reflexion darüber, wie sich unsere heutige Gesellschaft in der Figur von Berlusconi widerspiegelt, die von Gier, Macht und dem Idealbild junger schönen Frauen angetrieben ist. Der Film macht deutlich, was für katastrophale Folgen es für die Entwicklung der Gesellschaft hat, wenn die Abwesenheit einer intakten Gefühlswelt die Gier nach Macht zum einzigen Lebensinhalt wird. Die Diagnose, dass die politische Kaste genauso wie der alte Mann Berlusconi, der nach jungen Mädchen giert, den Kontakt zum wirklichen Leben verloren hat, ist beängstigend. Trotzdem wird er vom Volk verehrt und gewählt.

 

Cold War von Pawel Pawlikowski

Der Film Cold War erzählt die Liebesgeschichte eines Musiklehrers und einer Gesangsschülerin im Nachkriegspolen. Bei einer Auslandsreise nach Ostberlin flüchtet der Lehrer in den Westen und wird von seiner Geliebten sitzen gelassen, die sich danach mit einem Parteibonzen in Polen verheiratet. Die Dreiecksgeschichte und die über die Jahre verteilten Aufeinandertreffen bei Konzertauftritten im Westen leuchtet immer wieder die Gefühlsgeschichten der Protagonisten aus, die an ihren unausgelebten Liebesgeschichten zugrunde zu gehen drohen. Die Handlung und die Orte sind lediglich Hintergrund und Anlass für die Inszenierung der Gefühle, die der Regisseur auf meisterhafte Weise in Szene zu setzen weiß.

 

Bohemian Rhapsody von Bryan Singer

Der Film erzählt liebevoll die Geschichte der Musik von Queen und ihres Sängers Freddy Mercury, der ein kompliziertes Verhältnis zu seiner Familie, seiner Sexualität und seiner Band hatte. Es wird deutlich wie innovativ und anders die Musik von Queen in den 70er Jahren war, die sich unter vielen berühmten Megabands behaupten mussten, von denen heute viele vergessen sind. Die Konflikte innerhalb der Band und ihrer Mitglieder wird zugunsten der Inszenierung der Musik weitgehend ausgeblendet. Über zwanzig Jahre lang haben Queen immer wieder musikalisch sehr unterschiedliche Hits geschaffen, die, wenn man sie einmal gehört hat, sein Leben lang nicht mehr vergessen kann. Das ist eine enorme Leistung.

 

First Man – Aufbruch zum Mond von Damien Chazelle

Der Regisseur Damien Chazelle (Lalaland) hat einen Film über den Astronauten Neil Armstrong gedreht, der als erster Mensch den Mond betreten hat. Dieser Film entmystifiziert das Klischee vom Heldentum, das Astronauten umweht. Die Realität sieht anders aus. Astronauten sind Testpiloten und Ingenieure, die bei der Entwicklung der Raumfahrt immer am Rande der Todesgefahr operiert haben und von denen viele gestorben sind. Die Nähe zum Tod ist das Thema des Filmes. Neben vielen Kollegen und Freunden hat Neil Armstrong auch seine Tochter in frühen Jahren verloren, was ihm vielleicht einen inneren Antrieb geschaffen hat, mehr auszuhalten als andere. Nach diesem Film will kein normal denkender Mensch mehr mit dem Schicksal eines Astronauten tauschen. Der Film konzentriert sich neben drei kritischen Sequenzen, die im Weltall stattfinden, auf das emotionale Management der Gefühle von Neil Armstrong und seiner Familie, wobei der Konflikt zwischen der Verdrängung der Gefühle, der Unterdrückung der Ängste und der Unmöglichkeit den eigenen Kindern zu sagen, dass man vielleicht nicht zurückkehrt, eine unmögliche Situation ist.

 

Mandy von Panos Cosmatos

Eine junge Buchillustratorin, die mit ihrem Holzfällerfreund (Nicolas Cage) im Wald lebt und von Jesus-Freaks entführt, wird drei dunklen Reitern aus der Unterwelt, die sich von Blut ernähren, als Menschenopfer dargebracht. Der Holzfäller macht sich auf die Jagd und nimmt blutige Rache. Auf der Handlungsebene passiert nichts anderes als die Vernichtung des absoluten Bösen, das sich unter dem Deckmantel des Glaubens an Gott nur dieser einer höheren Macht verpflichtet sieht. Die dunklen bunten Splatter-Bilder mit dem Sounddesign des vor kurzem verstorbenen Tonkünstlers Johann Johannson erzeugen eine surrealistische Wirkung als wäre man auf einem LSD-Trip. Die Zerstörung und Zerstückelung der menschlichen Körper nimmt beinahe abstrakte Ausmaße an und wird visuell immer wieder verfremdet, sodass die Künstlichkeit des Bildes und Tones zum herausragenden Kunstwerk werden. Anders ist dieser Splatterfilm kaum auszuhalten.

 

The Man who killed Don Quixote von Terry Gilliam

Der Regisseur Terry Gilliam hat nach 25 Jahren endlich sein wunderbar durchgeknalltes Don Quixote Kinoprojekt abgeschlossen. Der Film widersetzt sich jeglicher gängigen Erzählkonvention und erzählt auf verschiedenen Erzählebenen mit wechselnden Identitäten die Geschichte um Don Quixote. Der Regisseur Toby (Adam Driver) macht ein Remake seines Studentenfilms um Don Quixote (Jose Ferrer) und findet sich bald selbst in der Rolle des Sancha Pansa wieder. Die Handlung springt aus der Fiktion in die reale Welt und verknüpft Realität, Erinnerungen und Imaginationen mit dem alten und neu gedrehten Filmmaterial, sodass der Zuschauer die ganze Zeit gefordert ist selbst zu entscheiden, ob es sich um einen Film, einen Traum oder die Dreharbeiten handelt. Es ist eine wahre Freude wie Terry Gilliam die Realität immer wieder ins Fantastische abkippen und die fantasierte Schauspielwelt wieder ins reale Leben hineinlappen lässt. Verstehen kann das nur, wer die Filme von Terry Gilliam (Brazil, 12 Monkeys, König der Fischer, Ritter der Kokosnuss, Das Leben des Brian) und seine Vergangenheit mit den Monthy Pythons kennt. Der Film strotzt vor Anspielungen auf diese Filme. Der unbedingt sehenswerte Dokumentarfilm Lost in La Mancha (2002) erzählt über das Scheitern der Dreharbeiten im Jahr 2000 und ist einer der Klassiker unter den Filme übers Kinomachen.

 

Das schönste Mädchen der Welt von Aron Lehmann

Der herausragende Jugendfilm muss hier besprochen werden, da klassisches Erzählkino in der deutschen Kino- und Fernsehlandschaft fast nicht mehr vorkommen. In Deutschland scheinen nur noch Filme produziert zu werden, in denen eine Opferdramaturgie die Bedürfnisse der Protagonisten vorzugeben scheinen. Auf einer Klassenfahrt lernt Cyrill die neue Mitschülerin Roxy kennen, die sich in einen Mitschüler verliebt von dem sie irrtümlich denkt er sei ein Rapper. Angelehnt an Cyrano von Bergerac macht Cyril die Musik für seinen Freund, da er glaubt, wegen seiner dicken Nase keine Chancen bei dem Mädchen zu haben. Der Regisseur Aron Lehmann hat die Musik, die Rap-Battles und das Gefühlsleben der Schüler mit viel Tempo und Witz inszeniert. Er findet immer die richtige Balance zwischen den sprudelnden Hormonen der pubertierenden Teenagern und der Suche nach den wahren großen Gefühlen. Nicht nur die Protagonisten sind widersprüchlich angelegt, auch die Verknüpfung von Mobbing mit einer großen Liebesgeschichte ist ein widersprüchliches Konstrukt, das die Geschichte unvorhersehbar macht und in jeder Sekunde spannend erscheinen lässt. Aron Lehmann ist bereits durch seinen großartigen Abschlussfilm Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel (2012) aufgefallen, wo er ebenfalls einen literarischen Klassiker als Inspirationsquelle verwendet hat um eine fantastische Geschichte zu erzählen. Und der Schauspieler Aaron Hilmer in der Rolle des Cyril ist eine wahre Entdeckung.

 

Gundermann von Andreas Dresen

In der DDR kannte jeder den Liedermacher Gerhard Gundermann, in Westdeutschland kennt ihn niemand. Der Regisseur Andreas Dresen zeichnet und erklärt das Leben des Weltverbesserer und Baggerfahrer im Lausitzer Braunkohletagebau genau nach und zeigt, wie der Wunsch nach einem besseren Staat den Idealisten an seine Grenzen führte. Er hat die Missstände und Kritik immer laut ausgesprochen und wollte einen Beitrag zu einer besseren Gesellschaft leisten, warum er auch aus der SED herausgeflogen ist. In den 1990 Jahren kam heraus dass Gundermann bis 1985 für die Stasi tätig war. Im Nachhinein konnte er sich das nie verzeihen, aber entschuldigen konnte er sich auch nicht, da es sich im Moment wo er es getan hat, richtig angefühlt hat. Andres Dresen gelingt es mit diesem Film die Deutungshoheit über die Verwicklungen mit der Stasi zu den betroffenen Menschen zurückzuholen.

 

303 von Hans Weingartner

Die Studentin Jule (Mala Emde) ist mit ihrem Wohnmobil auf dem Weg zu ihrem Freund nach Portugal und nimmt den Tramper Jan (Anton Spieker) mit, der seinen leiblichen Vater in Spanien kennen lernen will. Auf dem Weg dorthin reden Jule und Jan um Gott und die Welt und alles andere. Sie sind sich so gut wie in jedem Thema uneins. Sie diskutieren über den Kapitalismus, Politik, Evolution, Tod, Familie, Beziehungen, Gefühle, Liebe und berühren dabei immer wieder wunde Punkte in der Biografie des anderen. Der Regisseur Hans Weingartner vertraut wunderbarer Weise vollkommen auf seine beiden Hauptdarsteller, was eine intensive zu den Figuren schafft. Lange hat man keine Talking Heads im Kino mehr gesehen, bei deren Gespräche es um alles geht. Da beide Protagonisten ein Ziel haben, erkennen sie erst sehr spät, dass sie füreinander geschaffen sind. Ein großer, einfühlsamer Liebesfilm über junge Menschen.

 

Tully von Jason Reitman

Eine vierzigjährige Frau ist nach der Geburt ihres dritten Kindes vollkommen überfordert und bekommt eine postnatale Depression. Ihr reicher Bruder spendiert ihr die Nacht-Nanny Tully, damit sie endlich wieder einmal durchschlafen kann und aus der ständigen Überlastung herauskommt. Aus dieser unspektakulären Grundkonstruktion machen der Regisseur Jason Reitman und die Drehbuchautorin Diablo Cody, die bereits durch die Filme Juno und Yong Adult aufgefallen ist, einen herausragenden Film. Selten hat man einen Film gesehen, in dem Kinder und das Familienleben dermaßen glaubwürdig und wahrhaftig inszeniert worden sind. Und die schauspielerische Leistung von Charlize Theron ist wieder einmal überragend.

 

Call me by your name von Luca Guadagnino

Ein amerikanischer Professor lebt mit seiner Frau und dem 17-jährigen Sohn Elio in einer Villa in Norditalien. Als über die Sommermonate ein Doktorand die Familie besucht, erwacht das sexuelle Begehren des Sohnes. Der Film erzählt nicht so sehr eine homoerotische Geschichte, sondern beschreibt viel mehr wie Blicke, Berührungen und Worte das Begehren auslösen können. Die Kamera gleitet durch ein idyllisches Umfeld und registriert unter den Augen der Eltern jegliche Abweichung von der Normalität. Obwohl es kaum eine Handlung gibt, betritt der junge Elio, wie in einer klassischen Dramaturgie, die fremde Welt der Liebe und Sexualität, die seine Persönlichkeit verändern wird. In diesem Psychogramm einer Liebesgeschichte spielt der hellsichtige Vater eine wichtige Rolle, da er seinem Sohn bewusst ein ideales Umfeld für diese prägenden Erlebnisse verschafft. Jenseits jeglichen Klischees reflektiert dieser sinnliche Film das Verhältnis der Eltern zu den ersten sexuellen Erfahrungen ihrer Kinder ganz unabhängig von jeglicher sexuellen Orientierung. Für die Drehbuchadaption hat der 91-jährige James Ivory zu Recht einen Oscar (2018) bekommen.

 

I, Tonya von Craig Gillespie

Der Film I, Tonya beschreibt die Karriere der Eiskunstläuferin Tonya Harding und versucht zu rekonstruieren, wie es 1994 kurz vor den Olympischen Spielen in Lillehammer zum Gewaltakt gegen ihre schärfste Konkurrentin kommen konnte. Ob und wie Tonya Harding an diesem Anschlag beteiligt war, ist in diesem difusen Schlamassel kaum zu ermitteln. Heraus kommt dabei aber eine Missbrauchsgeschichte durch die Mutter, den prügelnden Ehemann sowie durch die Presse geschaffene öffentliche Meinung. Der Film räumt durch seinen dokumentarischen Erzählstil, den Intervieweinschüben und der direkten Anrede des Publikums mit jedem Klischee auf, das es über Tonya Harding gibt. Die Wahrheit steckt irgendwo dazwischen. Die Schauspielerin Margot Robbie ist nach den Meilensteinfilmen The Wolf of Wall Street und der Marvelcomic-Verfilmung Suicide Squad mit diesem Film, den sie selber produziert hat und der drei Oscarnominierungen erhalten hat, ein Superstar.

 

Molly’s Game von Aaron Sorkin

Molly Bloom organisiert nach ihrer Skikarriere hochdotierte Pokerspiele und macht Millionenumsätze bis sie vom FBI wegen Geldwäsche und organisierter Kriminalität angeklagt wird. Der Film beruht auf wahren Begebenheiten und ist das Regiedebut des Drehbuchautoren Aaron Sorkin, der u.a. durch die Serie West Wing (mit der er vier Mal hintereinander den Emmy-Award gewonnen hat) sowie den grandiosen Filmdrehbüchern zu The Social Network, Moneyball und Steve Jobs berühmt geworden ist. Der Film dauert 140 Minuten und beschleunigt die Erzählduktus durch den beispiellosen Einsatz einer Voice-Over-Stimme der wunderbaren Hauptdarstellerin Jessica Chastain. So gut wie jede Filmschule verteufelt das Voice-Over als dramaturgische Schwäche und unzulässiges Hilfskonstrukt. Aaron Sorkin zeigt auf furiose Weise, dass diese Sichtweise Unsinn ist. Was wären Filme wie Blade Runner und die meisten Privatdetektivfilme ohne das Voice-Over?

 

Arthur & Claire von Miguel Alexandre

Ein Film mit dem österreichischen Kabarettisten, Schauspieler, Drehbuchautoren und Regisseur Josef Hader ist immer etwas Besonderes. Bei dem Film Arthur & Claire fungiert er wie bei den herausragenden Wolf-Haas-Verfilmungen als Darsteller und Mitautor des Drehbuchs. Arthur reist nach Amsterdam um in einer Sterbeklinik auf Grund einer Krebserkrankung den Freitod zu wählen. In der letzten Nacht gerät er im Hotel an eine junge Frau, die sich ebenfalls das Leben nehmen will. Die Idee ist nicht sehr originell, aber was Josef Hader und Hannah Hoekstra daraus machen, ist inhaltlich und schauspielerisch großes Kino. Die Charakterisierung der beiden widersprüchlichen Figuren ist sehr fein gezeichnet und der morbide Humor von Josef Hader macht aus dem existentiellen Drama einen wunderbaren Film

 

Lucky von John Carroll Lynch

Der Film zeigt in einem ländlichen Ort im Südwesten der USA den Tagesablauf des 90-jährigen Navy-Veteran Lucky (Harry Dean Stanton), der durch einen Schwächeanfall aus dem Takt kommt und ihm deutlich macht, dass der Tod vor der Tür steht. In leisen Einstellungen beschreibt der Film die Einsamkeit und Angst eines alten Mannes. Es gibt in dem Film zwei magische Momente, warum man sich den Film unbedingt anschauen sollte. In einer Szene verwandelt der 91-jährige Schauspieler Harry Dean Stanton das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, in einen der großen Kinomomente des Jahres 2018. Die Fragen, welche Rolle die freiheitsliebende Schildkröte spielt und ob und wie sich Lucky eine Zigarette anzünden darf, sollen auf den Film neugierig machen.

 

The Shape of Water von Guillermo del Toro

Der Film The Shape of Water ist ein Märchen, in dem eine stumme Frau, ein homosexueller Maler, eine schwarze Putzfrau und ein jüdisch-russischer Wissenschaftler ein fremdartiges Amphibienwesen aus den Fängen der Regierung befreien, die beschlossen hat, alles was sie nicht versteht, zu eliminieren. Sehr schnell wird klar, dass das wahre Monster nicht das fremde Wesen, sondern der Mensch selbst ist, wenn er sich mit Vorurteilen behaftet, ignorant, sadistisch und überheblich verhält. Bemerkenswert an diesem Film ist die Art und Weise wie er inszeniert, ausgestattet und gefilmt ist, wie die Musik zum Bestandteil der Erzählung gemacht wird und wie mit filmischen Mitteln die Handlung vorangetrieben wird. Obwohl alle Figuren eindimensional und damit nicht widersprüchlich charakterisiert sind, gelingt es in diesem Ausnahmefall die Spannung aufrecht zu erhalten. Märchen haben zumeist eindimensionalen Figuren, aber wie hier aktuelle gesellschaftspolitische Themen wie Vorurteile, Rassismus, Frauendiskriminierung, Folter und Machtmissbrauch in ein Märchen eingebettet sind, ist eine große erzählerische Leistung.

 

The Post von Steven Spielberg

Die Washington Post veröffentlichte im Jahr 1971 die Pentagon-Papers gegen den erbitterten Widerstand der Nixon-Regierung. Der Außenminister hatte eine Studie über den Vietnamkrieg in Auftrag gegeben, aus der hervorging, dass der Vietnamkrieg schon 1968 nicht mehr zu gewinnen war. Trotzdem hat die Regierung die Bevölkerung jahrelang mit Lügen falsch informiert. Der Film ist ein Plädoyer für die Pressefreiheit und schildert detailgenau wie eine Zeitung in der damaligen Zeit entstanden ist. Die Verlegerin Katherine „Kay“ Graham(Meryl Streep) hat kurz zuvor die Zeitung von ihrem verstorbenen Ehemann übernommen und sieht sich nun einer männergeführten Journalistendomäne gegenüber, die zu wissen glaubt, wie sie das „Mädchen zu managen“ hat. Die Entwicklungsgeschichte einer Frau, die nie Journalistin werden wollte, und die sich gegen ihre Hausjuristen für eine Veröffentlichung der „Papers“ entschieden hat, ist eine wahre Heldengeschichte.

 

Wind River von Taylor Sheridan

In einem Indianerreservat in Wyoming wird eine junge Frau tot im Schnee aufgefunden. Ein Wildhüter, dessen Tochter auf ähnliche Weise vor drei Jahren umgekommen ist, macht sich mit einer FBI-Agentin aus Las Vegas auf die Jagd nach den Tätern. Was diesen Thriller so außergewöhnlich macht, ist die Art und Weise wie die Natur in diesem Film inszeniert ist. Der Zuschauer hat durch die Kameraperspektive und die rasanten Kamerafahrten in der Natur den Eindruck, dass er selber das Raubtier ist. Und der Film lässt bewusst offen, ob das Raubtier gejagt wird oder selber auf der Jagd ist. Dies ist der erste Film von Taylor Sheridan als Regisseur, der bereits durch seine herausragenden Drehbücher für die Filme Sicario und Hell or High Water aufgefallen ist. 12.02.2018

 

The Disaster Artist von James Franco

Filme über das Filmemachen kann man mittlerweile als ein eigenes Genre bezeichnen. Der Schauspieler James Franco hat als Regisseur einen wunderbaren Spielfilm über einen Film im Film gemacht. Zwei junge Männer beschließen ihren Traum von einer großen Karriere in Hollywood in die eigenen Hände zu nehmen und machen einen eigenen Film. Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten und der von James Franco gespielte Protagonist Tommy Wiseau unterläuft mit Hilfe seiner unermesslichen Geldressourcen, deren Herkunft bis heute ungeklärt ist, alle professionellen Regeln im Filmgeschäft. Alles was schief gehen kann, geht schief und am Ende kommt ein Film heraus, der ganz anders ist, als erwartet. Tommy Wiseaus Film The Room ist 2003 erschienen und entwickelte sich in den Jahren danach zu einem kleinen Kultfilm. The Disaster Artist ist großartiges Schauspielerkino, das von der Liebe zum Kino und vom großen Traum handelt. 11.02.2018

 

Spielfilm Three Billboards Outside Ebbing, Missouri von Martin McDonagh

In dem Spielfilm Three Billboards Outside Ebbing, Missouri geht es um unterdrückte Wut. Die großartige Schauspielerin Frances McDormand spielt eine Mutter, deren Tochter vor acht Monaten am Straßenrand vergewaltigt, getötet und verbrannt worden ist. Auf drei Werbetafeln prangert sie an, warum die Polizei keine Ermittlungsergebnisse vorzuweisen und keinen Verdächtigen gefasst hat. Auch die beiden Polizisten, gespielt von Woody Harellson und Sam Rockwell, müssen mit ihrer unterdrückten Wut zurechtkommen. Der eine ist schwer an Krebs erkrankt und der andere versucht seine Familienangelegenheiten unter Verschluss zu halten. Auch die Bevölkerung aus dem Ort Ebbing würde den Mord am liebsten unter den Teppich kehren. Die stumme Anklage der Mutter führt zu absurden Gewaltexzessen. Jede Regung im Gesicht von Frances McDormand drückt die Verzweiflung, Trauer und Aggressivität einer Mutter aus, die ihre Tochter verloren hat. Dramaturgisch geben die Figuren nicht so viel her, da sich kaum Beziehungen entwickeln und außer einer Nebenfigur kein Protagonist eine innere Wandlung vollzieht. Trotzdem trifft der Regisseur Martin Donagh mit diesem Film um Polizeigewalt, Rassismus und Homophobie den Nerv der Zeit. 31.01.2018

 

La Mélodie von Rachid Hamid

In einem Schulprojekt sollen Kinder die Geige lernen und für eine Aufführung in der Philharmonie das Stück Sheherazade von Rimski-Korsakkow einstudieren. Die Geschichte, in der sich undisziplinierte Kinder am Ende zu einer Gruppe zusammenraufen, hat man schon unzählige Male gesehen. Aber wie in diesem Film die Geschichte eines talentierten Kindes erzählt wird, das auf der Suche nach seinem Vater ist, und wie die Gruppenszenen mit den Kindern inszeniert sind, ist unbedingt sehenswert. 02.01.2018

 

Detroit von Kathryn Bigelow

Bei den Rassenunruhen 1967 in Detroit wurden in einem Hotel drei Schwarze von der Polizei gefoltert und erschossen. In einem Gerichtsverfahren wurden die Polizisten von allen Vorwürfen freigesprochen. Die Regisseurin Kathryn Bigelow rekonstruiert in dem Film, der auf wahren Begebenheiten beruht, den rassistischen Gewaltexzess der weißen Polizisten auf Grundlage der Zeugen und inszeniert mit einer Handkamera die Dynamik des Hasses und der Gewalt. An diesem Film wirkt nichts gekünstelt und er zeigt, wie auf beiden Seiten, bei den Schwarzen wie den Weißen, die Angst das Schlimmste im Menschen hervorkehrt. Der Zuschauer wird in die Ereignisse hineingezogen und herumgewirbelt, sodass für jeden Zuschauer erfahrbar wird, was Rassismus und Polizeiwillkür wirklich bedeutet. Nebenbei macht Kathryn Bigelow deutlich, welche Bedeutung die Ghospel- und Kirchenchöre für die Identität der schwarzen Bevölkerung haben, in der Weiße keinen Zugang haben. Ein schwarzer Sänger, der mit seiner Band kurz vor dem Durchbruch steht, kann nach den Ereignissen nicht mehr vor einem weißen Publikum auftreten und flüchtet sich in seine persönliche Form des schwarzen Rassismus. Die Art und Weise wie die Regisseurin Kathryn Bigelow inszeniert und das Thema Rassismus und Polizeigewalt miteinander verknüpft, zeigt erneut, dass sie zu den ganz großen Regisseuren unserer Zeit gehört. Der Film ist einer der intelligentesten Kommentaren zum Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft und zur Polizeigewalt im Jahre 2017. Offenbar hat sich nicht viel verändert. 01.01.2018