Die Filme von Kelly Reichardt sind ein Wunder. Die Regisseurin und Drehbuchautorin kennt die dramaturgischen Regeln genau und sprengt sie in ihren Filmen gerne. Das macht sie aber so leise, dass man als Zuschauer immer genau hinschauen muss, um das Drama, das sich in den Köpfen der Protagonisten abspielt, überhaupt wahrnehmen zu können.

In dem Film Certain Women werden drei Erzählungen der Autorin Maile Meloy adaptiert, die lose miteinander verknüpft sind. Eine Anwältin (Laura Dern) vertritt einen Mann, der nicht einsehen will, dass er durch die Annahme eines Vergleichs den Anspruch auf Schadensersatz verloren hat. Eine Frau (Michelle Williams) möchte für den Bau ihres Hauses die Natursteine eines Nachbars haben. Und in der letzten Erzählung verschlägt es eine Pferdepflegerin zufällig in einen schwach besuchten Kurs über Schulrecht für Lehrer. Die Pferdepflegerin ist von der Welt der jungen Anwältin (Kirsten Stewart) angezogen, die für ihren Vortrag nach Büroschluss zweimal die Woche vier Stunden anreisen und danach wieder vier Stunden zurückfahren muss. Alleine diese letzte und schönste Episode spielt sich hauptsächlich in dem Schulungsraum und einem Diner ab, wo die beiden Frauen sich nach dem Vortrag über das Leben unterhalten bevor die junge Anwältin ihre mühsame Rückfahrt antreten muss. An dem Leben der Pferdepflegerin, die allein auf einer Farm die Pferde versorgt, hat die junge Anwältin kein Interesse. Aber dem Zuschauer wird dieser einsame Lebensraum in all seiner Schönheit und Trostlosigkeit ausführlich vorgeführt.

In allen diesen Geschichten möchte ein Mensch von einem anderen Menschen etwas haben, was dieser ihm nicht geben kann. Die Welten der einzelnen Protagonisten sind sich so fremd, dass für die andere Person kein Zugang mehr möglich zu sein scheint. Dabei wird nicht nur die Einsamkeit der Person sichtbar, die etwas haben will und ein Ziel hat, sondern auch die Einsamkeit der Person, die die andere Person nicht an sich herankommen lassen will oder kann. Selbst der Hund, der mit der Pferdepflegerin spielen will, wird ignoriert. Einsamkeit hat immer auch etwas mit einer Sehnsucht zu tun. Die Sehnsüchte werden in den ruhigen Dialogen der Figuren sichtbar, die immer etwas mit einer nichtanwesenden Personen zu tun haben. Die Szene, in der sich die Pferdepflegerin der Anwältin nähert und wie diese Annäherung im Gesicht der schweigenden Kirsten Stewart ins Leere läuft, ist etwas vom Berührendsten, was man seit langem im Kino gesehen hat. Das ist nicht nur große Schauspielkunst, das ist auch eine sehr genaue und besondere Art der Inszenierung.

Der Film hat keine Dreiaktstruktur und ist dennoch in drei Episoden aufgeteilt, es gibt keine Reise des Helden, es gibt keine inneren oder äußeren Abenteuer zu bestehen, die Figuren sind in der Darstellung ihres Alltags eindimensional angelegt und eine innere Wandlung kommt bei den Protagonisten schlichtweg nicht vor. Und doch entwickelt die Regisseurin in den Seelenzuständen der vier Frauen eine Widersprüchlichkeit zwischen Einsamkeit, Sehnsucht, Ablehnung und Zuneigung, die es dem Zuschauer unmöglich macht, sich dafür nicht zu interessieren. Durch die Darstellung des Alltags der Frauen und den Verzicht auf handlungsorientierte Erzählstränge konzentriert sich Kelly Reichardt auf das wesentliche Thema dieses Filmes: das Wollen und nicht können, die Unmöglichkeit jemanden an sich herankommen zu lassen, die Unüberwindbarkeit der fremden Lebenswelten. Durch diese Defizite entsteht die Sehnsucht nach einem anderen Leben oder einem anderen Menschen. Die Regisseurin stellt die Frage in den Raum Raum, ob diese innerste Einsamkeit überhaupt zu überwinden ist?