Die Serie Jessica Jones ist eine Superhero-Serie von Marvel Comics, bei der die Heldin kein Kostüm mehr trägt. Sie wird als gebrochene Heldin eingeführt, die ein Alkoholproblem hat und alleine als Privatdetektivin arbeitet. Aus ihrer Zeit als Superheldin hat sie überdurchschnittliche Körperkräfte und besitzt gewisse Sprungeigenschaften. Das Neue und Spannende an Jessica Jones ist die Tatsache, dass die Superheldin nicht mehr von normalen Menschen zu unterscheiden ist. Die Handlung spielt in einem Film Noir Ambiente und vermischt geschickt die Genres aus Privatdetektivgeschichte, Familiendrama, Science-Thriller und Superheldencomic.

Jessica Jones hat es mit dem Bösewicht Kilgrave zu tun, der durch Gedankenkontrolle andere Menschen Verbrechen und Morde für sich machen lässt. In der Vergangenheit hatte Jessica Jones ein Verhältnis mit Kilgrave bis dieser sie einen Mord an einer Frau ausüben lässt. Die Traumatisierung durch diese Tat (Backstorywound) soll eine Erklärung bieten, warum Jessica Jones sich in den Alkohol flüchtet und niemanden mehr an sich heranlässt. Bei einem Auftrag, eine vermisste Tochter zu finden, stellt sich heraus, dass Kilgrave dahinter steckt. Um sich an Jessica Jones zu rächen, bringt er die Tochter dazu ihre Eltern vor den Augen von Jessica Jones zu erschießen. Um die Unschuld der Tochter beweisen zu können, nimmt sich Jessica Jones vor, Kilgrave lebendig zu fangen.

Im Verlauf der Serie verwandeln sich unter dem Einfluss von Kilgrave alle Menschen im Umfeld von Jessica Jones in potentielle Gewalttäter oder Opfer. Die Weigerung von Jessica Jones Kilgrave zu töten, führt zur Katastrophe und zu vielen Toten. Jessica Jones muss ihre Adoptivschwester Trish retten, die von dem Polizisten Simmons unter Kilgraves Einfluss getötet werden soll. Es tauchen die Eltern von Kilgrave auf, die als Wissenschaftler Menschenversuche an ihrem Sohn durchgeführt haben. Und die Affäre von Jessica Jones mit dem Barbesitzer Luke Cage, der mit seiner unzerstörbaren Haut ebenfalls ein Superhero ist, entwickelt sich zum Fiasko als herauskommt, dass Jessica Jones diejenige ist, die Luke Cages Ehefrau getötet hat.

Die Serie hat zwei dicke Probleme. Problem 1 ist die Weigerung Kilgrave zu töten. Erzählerisch wäre die Serie nach 2 Episoden zu Ende und vielen Personen wäre viel Leid und Elend erspart geblieben. Die Prämisse Kilgrave lebendig zu fangen, ermöglicht es den Drehbuchautoren viele Gewaltszenen darzustellen. Für die Erzähllogik ergibt es aber überhaupt keinen Sinn, soviel Gewalt und Tote in Kauf zu nehmen um die Unschuld einer einzigen Person zu beweisen. Jedem Zuschauer ist klar, dass Jessica Jones den Bösewicht am Ende töten muss.

Problem Nummer 2 hat mir der Darstellerin Krysten Ritter zu tun, die Jessica Jones verkörpert. Man muss die Schauspielerin schon mögen, um sie als gute Darstellerin bezeichnen zu können. Die Charakterisierung ihrer Rolle ist extrem widersprüchlich angelegt, was eigentlich gut ist. Einerseits ist sie eine einsame Privatdetektivin mit übermenschlichen Kräften, was ein gewisses Maß an Aktivität erfordert. Auf der anderen Seite ist sie eine gebrochene Heldin, die nach Erlösung von ihren Schuldgefühlen sucht. Dem Druck dieser Widersprüchlichkeit begegnet sie durch Verachtung auf die Welt und selbstdestruktives Verhalten indem sie immer wieder zur Flasche greift, gewalttätig ist, wahllos Sex hat und niemanden an sich heranlässt. Wenn Krysten Ritter in ihrer Wohnung Whiskey aus der Flasche trinkt und diese danach zersplitternd in die Ecke wirft, wird die Limitation ihrer Schauspielkunst deutlich. Zugegebener Maßen ist es sehr schwierig die Mischung aus Enttäuschung, Verachtung, Selbstmitleid und Schuldgefühlen in einem darzustellen. Aber als Zuschauer nimmt man ihr die Alkoholikerin einfach nicht ab. Auch die Straßenkämpferin, der alles egal ist, die sich in Spelunken herumtreibt und auf Schlägereine einlässt, kann sie nicht überzeugend darstellen. Ihre scheinbare Gleichgültigkeit der Welt gegenüber aufgrund ihrer Traumatisierung durch Kilgrave ist bloß behauptet und die Drehbuchautoren lassen sie permanent das genaue Gegenteil tun. Wenn sie ausschließliche ein Opfer spielen müsste, das an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, wäre sie perfekt besetzt. Die Identifikation der Zuschauer mit der Hauptfigur findet in den allermeisten Filmen und Serien über eine Verletzung des Protagonisten statt. Es stellt sich aber grundsätzlich die Frage, warum sie den Mord, den sie unter Kilgraves Einfluss verübt hat, als persönliche Schuld und Versagen empfindet? Der Konstruktionsfehler bei Jessica Jones ist, dass die Ausweglosigkeit und das Gefühl des Ausgeliefertseins hier nicht gegeben sind. Jessica Jones weiß sich durchaus zu wehren und hat einen Plan wie sie Kilgrave zur Strecke bringen will. Diesen Widerspruch zwischen Opfer sein und aktivem Superhelden kann Kyrsten Ritter nicht überzeugend darstellen.

Noch eine letzte Bemerkung zur Widersprüchlichkeit der Figuren. Die Superheldenkräfte und psychische Verletzung der Figur Jessica Jones sind widersprüchliche Eigenschaften, die für die Erzählung von grundsätzlicher Bedeutung sind. Aber die Persönlichkeitsprofile von Jessica Jones und ihrem Gegenspieler Kilgrave sind eindimensional angelegt. Jessica Jones ist und handelt im gesamten Verlauf der Geschichte mit einer Ausnahme niemals unmoralisch, und Kilgrave, der von dem nervigen Schauspieler David Tennant gespielt wird, verhält sich grundsätzlich bösartig, gewalttätig und machtbesessen. Dadurch werden die Figuren in ihren Reaktionen und Handlungen trotz der skurill arrangierten Gewaltsequenzen vorhersehbar und langweilig. Die Ziele der beiden Antagonisten sind klar definiert, Kilgrave will Macht über andere Menschen und Jessica Jones will Kilgrave zur Strecke bringen. Aber was ihre wahren Bedürfnisse sind, wird nie thematisiert und auserzählt. Dies ist für Actionfilme und Comichelden nichts ungewöhnliches, aber es lässt beim Zuschauer am Ende ein leeres Gefühl zurück.

Diese Leere hätte man vermeiden können, wenn die Liebesgeschichte zwischen Luke Cage und Jessica Jones im Zentrum der Erzählung gestanden hätte und nicht der genreübliche Zweikampf zwischen gutem und bösem Helden. Die Geschichte, wie sich Jessica Jones und Luke Cage kennen lernen und ihre Superkräfte beim anderen erkennen, wie sie sich verlieben und welche Konsequenzen die Erkenntnis, dass Jessica Jones die Ehefrau von Luke Cage getötet hat, bei den beiden Protagonisten auslösen, zeugt von einem dramaturgischen Potential, das man gerne viel ausführlicher erzählt bekommen hätte. Diese Thematik spielt zwar über die gesamte Länge der Serie immer wieder eine Rolle. Aber die Liebesgeschichte ist nach zwei Episoden beendet und spielt nur noch am Rande eine Rolle. Unter dramaturgischen Gesichtspunkten haben die Autoren es hier versäumt, ein wahres emotionales Bedürfnis bei der Hauptfigur zu etablieren. Schade eigentlich.