Die Serie Daredevil erzählt von einem Helden, der blind ist und sich durch sein übermenschliches Gehör besser durch den Raum bewegen kann als jeder andere normale Mensch. Der blinde Rechtsanwalt Matthew Murdock bekämpft in seinem Doppelleben das Verbrechen in seinem Stadtteil Hell’s Kitchen. Er beherrscht die asiatischen Kampfkünste wie kein anderer und hat sich vorgenommen, niemals zu töten.

In der ersten Staffel wird erzählt, wie ein Bösewicht die arme Bevölkerung aus einem Stadtteil vertreiben will um dort teure Luxuswohnungen bauen zu können. So banal die Geschichte ist, so interessant ist es wie hier erzählt wird. Klar, es wird die Geschichte der Rechtsanwaltskanzlei Nelson & Murdock erzählt, die Geschichte der Sekretärin, die Vergangenheit der Protagonisten, die Liebesgeschichte des Bösewichtes. Aber all dies verschwindet hinter der Art und Weise wie dies gemacht wird. Die Bilder sind dunkel und düster gehalten und der Ton und die Geräusche spielen eine überragende Rolle. Wenn sich Matthew Murdock mit einem Menschen unterhält, hört man den erhöhten Herzschlag der Figuren, und wenn es zu Kämpfen kommt, hört man den Luftwiderstand der Schwerter, gegen die sich der blinde Held zur Wehr setzen muss.

Die Serie macht sich viel Mühe, das Verhältnis zwischen gesellschaftlichem Rechtssystem und Selbstjustiz auszuloten und die Frage, ob der Held töten darf oder nicht, ist das Dauerthema vor allem auch in der zweiten Staffel. Die Spannung bezieht die Serie aus der Tatsache, dass der Bösewicht es schafft, seine Verbrechen Daredevil anzuhängen. Letztlich dient die Handlung aber eigentlich nur dazu, möglichst viele Artial Marts Kämpfe zu zeigen, die an Brutalität kaum zu überbieten sind. Man fragt sich bei den Kämpfen, wie man diese Schläge und Tritte überhaupt überleben kann. Und wenn ein Kopf mit aller Gewalt gegen die Betonwand geknallt wird, Knochen gebrochen und Kniescheiben zertrümmert werden, wirkt die Frage, ob man die Bösewichter töten darf oder nicht, müßig. Die expliziten Gewaltszenen sind schlicht und einfach unglaubwürdig. Dramaturgisch passiert zwischen den Figuren leider auch nur wenig. Die Beziehungen der Figuren verändern sich im Laufe der Geschichte kaum, und die Protagonisten sind relativ eindimensional angelegt. Die Bösen sind böse und die Guten sind gut. Matthew Murdock ist der Überzeugung sein Doppelleben selbst vor seinen engsten Vertrauten geheim halten zu müssen. Er ruht bei dieser Frage ganz in sich und hat keine inneren Konflikte.

In der zweiten Staffel tut sich dann inhaltlich einiges. Es tritt der Punisher auf, der kein Problem hat die Bösewichter auszuknipsen, die seine Frau und seine beiden Töchter getötet haben. Und das Rechtssystem wird ebenfalls an die Grenzen geführt, da die Staatsanwaltschaft und der Polizei den Tod der Familie unter den Teppich gekehrt haben, um ihre Beteiligung am Tod der Familie zu vertuschen. Daredevil kämpft gegen die Yakuza, die sich in Hell’s Kitchen breit machen und heimlich zombieartige Kampfwesen heranzüchten. Es tauchen Personen aus Daredevils Vergangenheit auf, sein Lehrer Stick und die Ex-Geliebte Elektra, die allesamt versuchen ihn davon zu überzeugen, dass die Feinde getötet werden müssen. So wunderbar aufwendig und kompliziert diese Geschichten erzählt werden, so scheinheilig und langweilig wirken diese Debatten. Es wird in der Serie immer wieder eine Gesellschaft gezeigt, die durch und durch korrupt ist. Welches Rechtssystem will Daredevil denn unterstützen, wenn es nicht mehr vorhanden ist und er selbst nur noch den Weg der Selbstjustiz geht. Dieses Dilemma kann die Serie nicht auflösen, sie tut aber alles dafür um es zu verschleiern.

Der Bösewicht Wilson Fisk aus der ersten Staffel, steuert in der zweiten sein Imperium aus dem Gefängnis heraus. Er hat alle Polizisten geschmiert und auf seine Anweisung hin, wird der Punisher aus dem Gefängnis gelassen. Wenn es in einer Geschichte aber keine Regeln mehr gibt, dann wird der Handlungsverlauf willkürlich und der Zuschauer verliert das Interesse. Wenn die Handlung nicht aus einer klaren Zielsetzung der Protagonisten einschließlich ihrer inneren Konflikten und Beziehungen entwickelt wird, sondern die Machtverhältnisse lediglich behauptet, dann verpufft die Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit einer Geschichte. Wer glaubt den ernsthaft, dass ein Häftling die gesamte Gefängnisverwaltung in der Hand hat und diese tut was er befiehlt. Wenn es so eine korrupte Gesellschaft tatsächlich gebe und solche omnipotente Bösewichter, dann ist das Töten vielleicht doch der einzige Weg, um das Problem zu beseitigen. So wie die Serie angelegt ist, würde der Tod der Bösewichter alle Probleme mit einem Schlag beenden. Aber dann gebe es natürlich auch keine Geschichte zu erzählen.