Die Serie Blacklist ist ähnlich wie die Serie Person of Interest von der Anlage her als episodische Serie konzipiert. Im Laufe der Zeit wird die folgenübergreifende Handlungslinie aber so stark, dass man sich dem Sog Geschichte nicht mehr entziehen kann. Der weltweit operierende Händler Raymond Reddington ist eng mit dem internationalen organisierten Verbrechen vernetzt, warum er beim FBI als einer der meistgesuchten Schwerverbrecher auf der Fahndungsliste steht. Die Serie beginnt damit, dass sich Raymond Reddington dem FBI stellt und das Angebot unterbreitet, das FBI bei den Ermittlungen gegen weltweit operierende Verbrecher, Terroristen und korrupten Politikern zu unterstützen. Die einzige Bedingung, die er stellt, die frisch von der Akademie kommende Agentin Elizabeth Keen wird seine einzige Kontaktperson sein. Von Anfang an wird die Behörde immer wieder in den Konflikt getrieben, ob sie einen Schwerverbrecher Reddington zur Rechenschaft ziehen oder durch seine Informationen schwerwiegende Krisen beheben und zahlreiche Menschenleben retten sollen. Das alles spielt sich in einer desillusionierten, amoralischen Politik- und Wirtschaftswelt ab, wo jeder jeden benutzt. In jeder Episode wird einer der internationalen Schwerverbrechern der sogenannten Blacklist unschädlich gemacht.

In kaum einer anderen Serie werden die grundsätzlichen Kriterien der Filmdramaturgie derart auf die Spitze getrieben wie bei der Serie Blacklist. Die Rede ist von der „widersprüchlichen Hauptfigur“ und die Dynamik, die das „Beziehungsgeflecht der Figuren“ entwickelt. Alle Aktivitäten von Raymond Reddington verlaufen unter der Voraussetzung, dass Elisabeth Keen geschützt werden muss. Die Frage, warum ein desillusionierter, skrupelloser Schwerverbrecher sich um eine Frau sorgt, die nichts anderes möchte als ein normales Leben mit einem Ehemann und Kindern zu führen, hält die folgenübergreifende Gesamthandlung wie eine gutgeölte Maschine ständig am Laufen. Der kriminelle Reddington muss unter der Prämisse, Elisabeth Keen zu schützen, notgedrungen Gutes tun, während Elisabeth den entgegengesetzten Weg gehen muss. Sie wird von der staatstreuen FBI-Agentin und Ehefrau zu einer landesweit gesuchten Killerin und Verräterin abgestempelt. Jede Aktivität von beiden wird zur Gewissenfrage, ob man Reddington vertrauen kann oder ob Elisabeth bereit ist, ihre Illusionen über Moral und ein korrektes Leben aufzugeben. Die Serie hält es bewusst im Unklaren, ob Reddington ihr Vater ist. Zwar verhält er sich wie einer, aber es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass er es wahrscheinlich nicht ist. Was ist der tatsächliche Grund für seine sich selbst auferlegte Verpflichtung Elisabeth zu schützen? Tatsächlich erzieht Reddington Elisabeth, sich in seiner Welt des Verbrechens und der skrupellosen Manipulation zurechtzufinden. Überspitzt könnte man sagen, die familiären Verpflichtungen machen den Schwerverbrecher Reddington zu einem besseren Menschen, während man Elisabeth dabei beobachten kann, wie sie sich dagegen wehrt, eine amoralische Person zu werden. Ein grandioses Erzählkonzept für eine Thrillerserie.

Das „dramaturgische Dreieck“ ist ein weiteres filmdramaturgisches Element, das bei Blacklist ganz untypisch und doch vorbildhaft eingesetzt ist. Normalerweise spielt das „dramaturgische Dreieck“ bei Liebes- und Beziehungsgeschichten eine zentrale Rolle nach dem Muster: zwei Männer lieben eine Frau. Es ist die klassische Struktur vom Held, Antiheld und Liebesobjekt, die in jeder Geschichte in vielfältiger Form auftritt. Das dramaturgische Dreieck kann auch neben dem Hauptkonzept in Unterformen und Nebenhandlungen immer wieder auftreten. Das Entscheidende beim dramaturgischen Dreieck ist, dass sich die Zuneigung und Sympathie zwischen den drei Figuren/Positionen immer wieder verändert. Damit schafft das dramaturgische Dreieck die Grundlage für Konflikte. Beobachten kann man das in fast allen Genrefilmen von Casablanca bis Harry und Sally. Bei Blacklist besteht die dritte Position des dramaturgischen Dreiecks aus der FBI-Behörde selber, wobei in der Behörde wieder kleinere dramaturgische Dreiecke etabliert werden. Reddington kümmert sich um Elisabeth Keen, Elisabeth vertraut ihrem Arbeitsgeber dem FBI, für das FBI ist Reddington der Feind und doch kämpfen beide um das Vertrauen von Elisabeth, widerwillig muss Elisabeth sich Reddington zuwenden und ihm vertrauen, für das FBI ist Reddington mehr als einmal Retter und Feind zugleich. Das Besondere hier ist, dass eine Etablierung einer Behörde als dritte Position des Dreiecks sehr viele Möglichkeiten für das serielle Erzählen schafft. Das alles dann noch in das folgenübergreifende gesamte Erzählkonzept einzubauen, ist die große Kunst, die hier gelungen ist.